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  • Liquordiagnostik bei psychischen Erkrankungen

Liquordiagnostik bei schweren psychischen Erkrankungen – Jenseits der Symptome

Liquordiagnostik bei schweren psychischen Erkrankungen kann Aufschluss über die Hintergründe der Erkrankung geben. Die Diagnose und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen stellen nach wie vor eine Herausforderung dar. Trotz der Fortschritte in der Neurowissenschaft und Psychopharmakologie bleiben viele Fragen bezüglich der Ursachen und Mechanismen dieser Erkrankungen offen. 

In aktuellen internationalen Klassifikationssystemen (ICD-10, DSM-5) basieren die diagnostischen Kriterien für psychotische Störungen (z.B. Schizophrenie und schizoaffektive Störung) auf symptomatischen Beschreibungen, da bisher keine eindeutigen Biomarker bekannt sind. Wenn jedoch zugrunde liegende Ursachen für psychotische Symptome wie Entzündungen, Ischämie oder Tumore, die das Nervengewebe beeinflussen, identifiziert werden können, wird eine andere Klassifikation verwendet („psychotische Störung mit Wahnvorstellungen aufgrund bekannter physiologischer Zustände“ (ICD-10: F06.2) oder Psychosen durch medizinische Faktoren (DSM-5)). Obwohl die Liquordiagnostik in den aktuellen diagnostischen Leitlinien für psychotische Störungen immer noch als optional betrachtet wird, könnten Biomarker im Liquor helfen, bekannte physiologische Zustände zu identifizieren. In der heutigen Psychiatrie unterzieht sich jedoch nur eine Minderheit der stationären psychiatrischen Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen einer Liquordiagnostik.

Es gibt zunehmende Hinweise darauf, dass eine präzisere Differentialdiagnose für eine Untergruppe von Patienten vorteilhaft ist, bevor eine psychopharmakologische Behandlung begonnen wird.

Fallberichte und Studien zu psychiatrischen Störungen und zur MS-Diagnose

Die Systematische Übersicht von Fallberichten und Fallserien von Sabe und Sentissi (2022)*1) befindet, dass das Durchschnittsalter der ersten psychiatrischen Symptome 25,8 ± 10,2 Jahre, das Durchschnittsalter der MS-Diagnose  31,2 ± 10,7 Jahre und die durchschnittliche Verzögerung bis zur MS-Diagnose 2,7 ± 3 Jahre betrug. Bei der MS-Diagnose war die immunsuppressive Therapie für psychotische Symptome signifikant wirksamer als Antipsychotika. Die Resistenz und schlechte Reaktion auf Antipsychotika, die in den meisten Fällen (75%) festgestellt wurde, waren mit einer ausgezeichneten Verbesserung (95%) sowohl der psychiatrischen als auch der neurologischen Symptome durch Kortikosteroide verbunden.

Eine schlechte Reaktion oder Resistenz gegenüber der Antipsychotikabehandlung sollte die Kliniker auf die Notwendigkeit einer differenzialdiagnostischen Abklärung hinweisen. Zwischen der Erstdiagnose Psychose und der über die nachträgliche Liquoranalyse gewonnenen Diagnose einer Multiple Sklerose, geht Zeit verloren, in der man mit der immunsuppressiven Therapie behandeln kann. Die Qualitätskontrollen Duotrol Oligo und Duotrol CSQ Advanced ermöglichen dabei die Richtigkeit der Laboruntersuchung. 

Liquordiagnostik: Schizophrenie und psychiatrische Störungen

Ein zentraler Aspekt der Liquordiagnostik ist die Untersuchung von Entzündungsprozessen im zentralen Nervensystem (ZNS). Studien haben gezeigt, dass bei bestimmten psychiatrischen Störungen, wie beispielsweise der Schizophrenie und der bipolaren Störung, eine leichte neuroinflammatorische Reaktion im Liquor beobachtet werden kann. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass eine immunvermittelte Komponente an der Pathophysiologie dieser Erkrankungen beteiligt sein könnte.

Grundlagen der Liquordiagnostik bei psychiatrischen Störungen bilden die Proteinanalyse (Albumin, IgG, IgA, IgM) sowie oligoklonale IgG- und Laktat-Analyse. Die parallele Analyse des Liquors mit Serumproben bilden die Grundlage für die Interpretation der Immunglobulinmuster in Reiber-Diagrammen und die Zusammenstellung der Daten im kumulativen Liquordatenbericht für den einzelnen Patienten.

Aktuelle Liquorstudien bei schweren psychischen Erkrankungen zeigen, dass etwa 79% der therapieresistenten Fälle mit affektiven oder schizophrenen Spektrumsstörungen geringfügige Liquorabweichungen zeigten.*2)

Die in „Nature“ erschienene Meta-Analyse von Orlovska-Waast et al. (2019) fasste verschiedene neuroinflammatorische Marker bei Schizophrenie und Affektiven Störungen zusammen. So war das Liquor-Gesamteiweiß sowohl bei Schizophrenie als auch bei affektiven Störungen erhöht, das Liquor/Serum Verhältnis von IgG war bei Schizophrenie erhöht, während das IgG-Albumin-Verhältnis verringert war.*3)

Liquordiagnostik: Nachweis von Oligoklonaler Banden bei MS

Bei etwa 90% der Patienten mit Multipler Sklerose werden oligoklonale Banden (OCBs) nachgewiesen. OCBs wurden ebenfalls bei bis zu 21,8% der Patienten mit Schizophrenie festgestellt. *4) Dieser Befund deutet auf eine intrathekale IgG-Produktion bei Patienten mit der Diagnose Schizophrenie hin.  Die Prävalenz von OCBs Typ 2 oder 3 war höher (13,1%) bei Patienten, die Drogen konsumierten, und mehr als doppelt so hoch (27,8%) bei Patienten, die Cannabis konsumierten.*5) Metaanalytische Belege zeigen, dass die Blut-Hirn-Schranke (BHS), die für die Homöostase des ZNS wichtig ist, in der Schizophrenie häufiger gestört ist im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. (vgl. Orlovska 2019). In der Studie von Campana et al. (2022) wurden bei 15,8% ein erhöhtes Verhältnis von Liquor/Serum-Albumin festgestellt. Es bleibt jedoch unklar, ob dies eine Ursache oder Folge neurologischer Dysfunktionen ist. Nichtsdestotrotz wird angenommen, dass eine grobe Barrierestörung mit einer Störung der neuronalen Signalübertragung einhergeht und eine BHS-Störung mit glutamatergen und entzündlichen Abnormalitäten assoziiert sein könnte, die an der Entstehung der Schizophrenie beteiligt sind. Insgesamt zeichneten sich bei Campana et al. (2022) bei 42,7% (134/314) der Patienten mit einer Schizophrenie-Diagnose, Veränderungen im Liquor ab.

Fig. 1: Häufigkeiten der Liquorabweichungen bei schweren psychischen Erkrankungen bezogen aus den Studien von Campana et al. (2022) und Orlovska-Waast et al.(2019)

Die aktuellen Ergebnisse legen also nahe, dass Schizophrenie und affektive Störungen möglicherweise CSF-Abnormalitäten aufweisen, einschließlich Anzeichen einer Beeinträchtigung der Blut-Hirn-Schranke und Entzündung. Die verfügbaren Beweise erlauben jedoch keine eindeutigen Schlussfolgerungen, da weitgehend keine Berücksichtigung von Störfaktoren erfolgte. Darüber hinaus haben nur wenige Studien dieselben Parameter mit gesunden Kontrollpersonen untersucht, und es fehlen hochwertige longitudinale CSF-Studien, einschließlich der Auswirkungen von psychotropen Medikamenten, Lebensstilfaktoren und potenziellen Vorteilen einer entzündungshemmenden Behandlung bei Untergruppen mit CSF-Entzündung. Hierzu ist aktuell eine Studie im Gange.*6) 

Liquordiagnostik: Routinemäßige Liquoranalysen können Behandlungsergebnisse verbessern 

Zusammenfassend zeichnet sich eine sich entwickelnde Evidenzbasis ab, die zeigt, dass die routinemäßige Analyse von Liquorproben bei Patienten mit Psychosen Marker für entzündliche oder infektiöse Ursachen sowie das Vorhandensein einer autoimmunen Enzephalitis aufdeckt.

Ein vielversprechender Ansatz für die Zukunft ist die Integration von Liquordiagnostik in personalisierte Behandlungsstrategien. Beispielsweise mit den Liquorkontrollen Duotrol CSQ Advanced und Duotrol Oligo, die eine Überwachung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen ermöglichen.

Indem man individuelle Biomuster im Liquor identifiziert, könnte es möglich sein, die Wirksamkeit bestimmter Therapien vorherzusagen und personalisierte Behandlungspläne zu entwickeln. Dies würde es Ärzten ermöglichen, gezielt auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten einzugehen und die Behandlungsergebnisse zu steigern.

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*1) Sabe M, Sentissi O. Psychotic symptoms prior or concomitant to diagnosis of multiple sclerosis: a systematic review of case reports and case series. Int J Psychiatry Clin Pract. 2022 Sep;26(3):287-293. https://doi.org/10.1080/13651501.2021.1973506

*2) Bechter, K. (2016). CSF diagnostics in psychiatry–present status–future projects.  Neurology, Psychiatry and Brain Research22(2), 69-74. https://doi.org/10.1016/j.npbr.2016.01.008

*3) Orlovska-Waast, S., Köhler-Forsberg, O., Brix, S.W.  et al.  Cerebrospinal fluid markers of inflammation and infections in schizophrenia and affective disorders: a systematic review and meta-analysis.  Mol Psychiatry  24, 869–887 (2019).  https://doi.org/10.1038/s41380-018-0220-4

*4) Campana M, Strauß J, Münz S, et al. Cerebrospinal Fluid Pathologies in Schizophrenia-Spectrum Disorder-A Retrospective Chart Review. Schizophrenia Bulletin. 2022 Jan;48(1):47-55. https://doi.org/10.1093/schbul/sbab105 

5*) Campana M, Strauß J, Münz S, et al. Cerebrospinal Fluid Pathologies in Schizophrenia-Spectrum Disorder-A Retrospective Chart Review. Schizophrenia Bulletin. 2022 Jan;48(1):47-55. https://doi.org/10.1093/schbul/sbab105

*6) Sørensen, N.V., Orlovska-Waast, S., Jeppesen, R. et al. Neuroimmunological investigations of cerebrospinal fluid in patients with recent onset depression – a study protocol. BMC Psychiatry 22, 35 (2022). https://doi.org/10.1186/s12888-021-03633-0

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